
Am 3. September 2012 berichtete ich an dieser Stelle in meinem Sommertagebuch von meinem bewegenden Erlebnis einer „Alpabfahrt“ in Appenzell. Das Gesehene hat mein Interesse geweckt. Ich wollte mehr sehen von dieser Tradition.
Nachdem ich die Appenzeller-Fotos aufbereitet und meinen Erlebnis-Bericht dazu geschrieben hatte, entschloss ich mich zusammen mit meinem Foto-Freund Peter Ä. am Sonntag, 16. Sept.2012 nach Urnäsch zu einer der berühmtesten Alpabfahrten in der Schweiz zu reisen.
Ich wurde von Urnäsch sensibilisiert, als ich im Internet lesen konnte, dass dort zwischen 9 und 13 Uhr mehrere Alp-Familien ins Tal nach Urnäsch ziehen werden. Schlussendlich waren es dann um die 15 Gruppen mit Appenzeller Ziegen, Kühen, Sennen, Kindern, den Appenzeller Hirtenhund „Bläss“ und dem Alp-Stier.
Die Alpen in Appenzell Ausserrhoden, einem der 26 Kantone in der Schweiz, liegen vorallem am Fusse des Säntis in einer Höhe zwischen 1200 und dem höchsten Punkt der Petersalp mit 1’590 m ü.M. Während die einen nur 2 Stunden bis ins Tal brauchten, mussten andere Alpfamilien in 6 Stunden 18 km bewältigen.
Die Alpfahrt ist für die Appenzeller Bauern auch heute noch ein wichtiger Festtag. So zieht man die schönsten und feierlichsten Trachten an. Oft noch mitten in der Nacht, vielleicht um drei Uhr in der Früh, bricht man auf zum langen Marsch ins Tal.

Alpabfahrt nach fester traditioneller Ordnung – Jeder an seinem Platz
Jeweilen im September kommen die Appenzeller Bauern und Sennen mit ihren Kühen zurück ins Tal. Dabei werden die Tiere nicht einfach nur abwärts getrieben: Seit Jahrhunderten folgt der Zug einer klar festgeschriebenen und traditionellen Ordnung.
Angeführt wird der Zug jeweils von einem «Gäissebueb», einem kleinen Jungen in Sennentracht. Ihm folgen zahlreiche weisse hornlose Appenzeller Ziegen, welche von Mädchen, die ebenfalls in Tracht gekleidet sind und deren Haar zu Zöpfen geflochten wurden, begleitet werden
Hinter den Ziegen geht der in Sennentracht gekleidete Vor-Senn, jeder Zoll ein König, welcher einen hölzernen «Fahreimer» (Melkeimer) geschultert hat. Dessen Unterseite ist mit einem kleinen runden Gemälde, dem «Bödeli» verziert. Darauf sind oftmals die Spitze eines Alp-Zuges mit Senn, Kuh, Hund und meistens einigen Ziegen abgebildet. Ausserdem ist auf dem Boden des Fahreimers der Name von dessen Besitzer und das Kaufjahr vermerkt.



Geordnet runter ins Tal
Dem Vor-Senn folgen die drei „Schellenkühe“. Diese tragen eine der drei Glocken an verzierten Riemen um den Hals. Dieses Glockenset bildet das sogenannte «Senntum». Die Schellen eines Senntums wiegen jeweils zwischen sechs und neun Kilogramm und sind im sechsten, siebten und achten Oberton aufeinander abgestimmt.
Zwischen dem Rest des gesamten Viehbestandes und den drei Schellenkühen bilden der Zusenn, ebenfalls in Sennentracht, und drei weitere Männer in Bauerntracht eine Reihe. Ihre Aufgabe ist es, die Kühe geordnet ins Tal zu führen. Sofern sie Zeit finden, «zäuerlen» sie unterwegs – sie stimmen einen Naturjodel an.
Hinter dem Vieh geht der Bauer selbst, zusammen mit seinem «Bläss», dem typischen „Appenzeller Sennenhund“. Es folgen ein Pferd und der sogenannte «Lediwagen» als traditionellen Abschluss der Alpabfahrt.

Sennentracht: Von Baksäckel und Ohreschueffe
Die Tracht der Appenzeller Sennen ist eine der bekanntesten der Schweiz. Im Unterschied zu anderen Männer-Trachten verfügt sie über ungewöhnlich viele Schmuckstücke und Zubehör.
Die Tracht, welche von den Sennen während der Alpabfahrt und zu anderen festlichen Anlässen getragen wird, entstand in ihrer heutigen Form zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Die Sennen tragen gelbe Kniehosen aus Leder und weisse, gestrickte Kniestrümpfe, welche von schwarzen, ledernen Strumpfbändern unterhalb des Knies gehalten werden.
Die Hose der Bauern hingegen ist lang und besteht aus braunem Tuch oder Halbleinen.
Beide Beinkleider haben keinen Hosenschlitz, sondern einen viereckigen Latz; sie werden zugeknöpft. Zu den Hosen gehören kunstvoll verzierte, mit Messing beschlagene Hosenträger aus schwarzem Leder, die «Chüelibroscht». Die Halbschuhe der Sennen und Bauern sind ebenfalls aus schwarzem Leder und mit silbernen Schnallen versehen.
Sowohl die Hemden der Bauern als auch diejenigen der Sennen verfügen über eine sogenannte Doppelbrust, haben kurze Puffärmel und sind mit Weissstickerei verziert. Darüber tragen die Männer das «Broschttuäch», eine rote Weste mit kleinem Stehkragen und silbernen Knöpfen, welche nicht geschlossen wird.

Statt einer Krawatte tragen die Sennen eine breite, ovale Sennenbrosche, welche oftmals eine Kuh, Bäume und eine Hütte zum Motiv hat. Des Weiteren schmücken sich die Männer mit einer Uhrenkette, einem Sennenring aus Silber am kleinen Finger der linken Hand und einem Ohrring in Form einer Miniatur-Rahmkelle, der berühmten «Ohreschueffe».
Den «Sennenfetzen», ein grosses mit Sprüchen und Bildern versehenes Taschentuch, binden sich die Sennen zum Dreieck gefaltet um die Hüfte. Beim Viehtrieb tragen die Männer schwarze Filzhüte.

Impressionen aus Urnäsch
Urnäsch mit einer Bevölkerung von 2’200 Einwohnern liegt südlich von am Flüsschen gleichen Namens und an der Bahnlinie, die Herisau mit Appenzell verbindet. Hier beginnt die Passstrasse über die Schwägalp (1278 m.ü.M) nach Neu St. Johann. Der tiefste Punkt ist Murbach mit 722 m ü. M., der höchste „die Petersalp“ mit 1590 m ü. M.


