Geister leben überall, in Bäumen, Höhlen, Seen, da sind sich Thailänder sicher. Weil sie auch Grundstücke bevölkern, tun deren Besitzer gut daran, den Wesen ein Häuschen samt Opfertisch bereitzustellen. Denn die Vergangenheit hat gezeigt: Sonst drohen Unheil und Tod.
Phram Dumrai windet sich in heftigen Krämpfen. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt. Dicke Schweißtropfen rinnen ihm über die Stirn. Der Duft vieler brennender Räucherstäbchen hüllt ihn ein, mit zittrigen Händen schiebt er einige Bissen Betel in den Mund. Seine Gebete werden ekstatischer, während ihm Betelsaft übers Kinn läuft und rote Spuren hinterlässt.
Der stämmige grauhaarige Mann in der goldgefassten Weste mit Tigerfell-Muster hat ein klares Ziel: Er will den Hausgeist der Deutschen Botschaft in Bangkok beschwören. Der Geist soll mit seiner ganzen Familie umziehen in ein neues, prächtigeres Geisterhaus. Das alte muss abgerissen werden, weil die Terrasse vor einem Nebengebäude der Botschaft erweitert wird.Für Thais jeder Gesellschaftsschicht gehören Geister zum Alltag. Bevor Premierministerin Yingluck Shinawatra im August vergangenen Jahres ihr Amt antrat, flehte sie nicht nur die Ahnen sondern auch den Hausgeist ihres Regierungssitzes um Schutz und Hilfe an. Und Bangkoks Gouverneur Sukhumbhand Paribatra beschwor – allerdings vergeblich – in einer aufwendigen Zeremonie beschützende Wassergeister, als die thailändische Hauptstadt im 2011 von der großen Flut überspült zu werden drohte.
Der Geist mag Fanta
Es gibt zahlreiche gute Geister und noch mehr böse, die den Menschen das Leben zur Hölle machen können. Schon sie beim Namen zu nennen, kann bereits Unglück bringen. Sie leben überall, in Bäumen, Höhlen, Flüssen und Seen. Fast jedes thailändische Schiff hat am Bug Blumengirlanden, mit denen die Wassergeister geehrt werden. Mit bunten Schärpen umwickelte Bäume signalisieren im ganzen Land: Hier wohnt ein Geist. Auch in Taxis sollen Amulette und Minialtäre für Schutz sorgen. Viele Thais tragen ein Amulett – oder haben eine Schutz verheißende Tätowierung.
Den Umzug auf dem Gelände der deutschen Botschaft hat Magaichat, eine Art Feng-Shui-Meister für Geister, schon vor Monaten vorbereitet: Zunächst legte er die Stelle fest, an der das neue Geisterhaus stehen soll. Dann hat er Monat, Tag und Stunde des Wohnortwechsels genau bestimmt. Nur wenige können das. Aber Phram Dumrai ist sicher, dass Magaichat die richtige Ortswahl getroffen hat: „Was das angeht, ist er einer von den drei Besten in Thailand.“
„Jetzt kommt es darauf an, dass die Geister das Haus auch akzeptieren,“ sagt Magaichat. Das ist Dumrais Aufgabe. Auch der Phram – ein thailändischer Name für Brahmane – hat alles getan, um dem Hausgeist den Umzug zu erleichtern: Ein reichhaltiger Opfertisch ist vor dem neuen Geisterhaus aufgebaut. Ein gesottener Schweinskopf liegt zwischen zwei gebratenen Enten. Einige Dutzend gekochte Eier, Zigaretten, Blumen, Früchte, Fanta füllen den Tisch.
Der Schutzgeist der Botschaft will aber auch mit Gebeten und Beschwörungen günstig gestimmt werden. Der Ablauf der auf animistischen Wurzeln beruhenden Zeremonie ist seit Jahrhunderten festgelegt. Dumrai gerät in Trance. Nur mühsam kann er sich noch bewegen. Sein Körper krümmt sich. Immer wieder muss ein Gehilfe ihn stützen. „Der Geist ist in ihn gefahren,“ flüstert einer der thailändischen Botschaftsmitarbeiter ergriffen.
Dann strafft sich Dumrai, der Geisterhausbewohner in spe scheint mit dem neuen Heim einverstanden zu sein. Dumrai spricht noch einige Gebete, segnet das neue Haus, die Opfergaben und die umstehenden Zuschauer – erschöpft, aber zufrieden. Er hat seine Aufgabe erfüllt.
Fatales Versäumnis beim Hotelbau
Nicht alle Geister sind so pflegeleicht. Als besonders gefährlich gelten solche, die sich der Seelen von Menschen bemächtigen, die nach einem Unglück oder Mord plötzlich aus dem Leben gerissen worden sind. Sie finden keine Ruhe, irren als Geister umher und plagen die Menschen. Am schlimmsten sind nach thailändischem Glauben die Geister verstorbener schwangerer Frauen, weil sie gleich aus zwei Seelen entstanden sind.
Um böse Geister loszuwerden, muss ein Mo Phi – meist ein Mönch – herangezogen werden, ein Geisterdoktor, der über Palang Chit verfügt, die Kraft des Geistes, mit der er die bösen Geister vertreiben kann. Die Geisterhäuschen – thailändisch San Phra Phum – demonstrieren am deutlichsten, wie konkret der Geisterglaube im thailändischen Alltagsleben verwurzelt ist. Sie stehen an fast jedem Privathaus, an öffentlichen Gebäuden, Einkaufszentren, Autohäusern, Banken, Versicherungen und Fabriken. Der Hausgeist mit seiner Familie wohnt dort, schützt die Anwesen und ihre Bewohner, die ihm tägliche Opfergaben darbringen.
„Wenn das Geisterhaus in der Botschaft einfach abgerissen worden wäre, ohne dem Geist ein neues Zuhause anzubieten, hätte das großes Unglück über die Mitarbeiter gebracht,“ erzählt Phram Dumrai, der 20 Jahre als Gehilfe eines Geisterbeschwörers gearbeitet hat, bevor er vor fünf Jahren selber zum Meister aufstieg.
In der Tat berichten thailändische Medien immer wieder über Unglücke und geheimnisvolle Krankheiten auf Baustellen, an denen die Belange der Geister nicht genügend berücksichtigt worden sind.
Die rätselhaften Vorgänge beim Bau des heutigen Grand-Hyatt-Erewan-Hotels in Bangkok vor über 50 Jahren dienen noch heute als Warnung, die Kraft der Geister nicht zu unterschätzen: Auf der Baustelle kam es zu zahlreichen Unfällen. Einige Arbeiter starben, andere wurden schwer krank. Ein Schiff, das Marmor für das Hotel geladen hatte, sank ohne erkennbare Ursache auf hoher See. Ein Geisterexperte stellte schließlich fest, dass der Grundstein für das neue Hotel an einem Tag gelegt worden war, der den Geistern nicht genehm war.
Erst einmal abwarten – und Geister füttern
Auch sei der Hausgeist, dem das Grundstück gehörte, aus seiner Ruhe aufgeschreckt worden. Eilends wurde nach allen traditionellen Regeln ein Geisterhäuschen für ihn aufgestellt. Zusätzlich ließ man zur Besänftigung der Geister einen Schrein errichten – den inzwischen international berühmten Erewan-Schrein in Bangkoks Innenstadt, bei dem täglich zahlreiche In- und Ausländer um Geld, Liebe, Erfolg, Gesundheit und Erleuchtung beten.
Seitdem halten sich fast alle ausländischen Unternehmen und viele diplomatische Vertretungen in Thailand vorsichtshalber und mit Rücksicht auf ihre einheimischen Mitarbeiter genau an die Traditionen ihres Gastlandes.Doch die Geister sind offenbar unberechenbar. Denn mit der aufwendigen Zeremonie auf dem Gelände der deutschen Botschaft wurde noch lange nicht sichergestellt, dass der Hausgeist dort weiterhin für Frieden und Ruhe sorgt, erläutert Phram Dumrai. „Die nächsten Monate sind entscheidend,“ sagt er. „Wir haben ihm den besten Platz weggenommen und müssen ihn nun mit dem neuen Haus versöhnen.“ Deshalb sei es wichtig, ihn in den kommenden Wochen gut zu füttern.
Er weiß auch, wie die Geisterfamilie gnädig zu stimmen ist.: „Er isst gerne frisches Obst. Seine Kinder trinken am liebsten rote und grüne Fanta.“ Und sie brauchten wie alle Kinder Spielzeug. „Am liebsten,“ sagt er, „lassen sie Drachen steigen.“
(Kopie eines Beitrages aus dem Online-Spiegel 29.12.2012)
1 Kommentar
Lieber Max,
Deine Erlebnisse lesen wir voll Interesse. Es ist ein Wahnsinn, was Du alles in den letzen Monaten gesehen hast. Ich komm mit dem
L E S E N kaum nach. Hab heute erst die Hälfte Deiner Vietnam Rundreise aufgenommen.
So wünschen wir Dir für 2013 ein gesundes Jahr !! Und Happy Birthday !!
Glg aus Graz von
Renate und Franz