30. Nov: Schweizer Referendum gegen Zuwanderung: Warum ich mit Nein gestimmt hätte

abstimmungObwohl ich in Thailand weile, bekam ich zu Hause ein Abstimmungscouvert zugeschickt. Darin steckten die Unterlagen zur berüchtigten „Ecopop-Initiative„, über die wir Schweizerinnen und Schweizer an diesem Sonntag 30. Nov. 2014 abstimmen. Es geht um eine drastische Beschränkung der Zuwanderung: Sollte die Initiative angenommen werden, dürften künftig nur noch maximal 16’000 Nicht-Schweizer pro Jahr in die Schweiz ziehen, statt wie in den vergangenen Jahren durchschnittlich 90’000.

Kurz die Abstimmungsresultate vom 30. November: Die Schweizer Bevölkerung lehnte alle 3 Initiativen wuchtig ab:
  • Mit 74.1% die Ecopop-Initiative „Beschränkung der Einwanderung“
  • Mit 77.3% die Goldinitiative der SVP
  • Mit 59.2% die Pauschalbesteuerungs-Initiative der SP

Während in der Schweiz Befürworter und Gegner der Initiative um Stimmen kämpften, begannen im benachbarten Deutschland wieder diese Wochen, in denen die Medien mit geballter Kraft mein Schweizer-Land und seine direkte Demokratie beschimpften. Dazu greifen die deutschen Journalisten zu bewährten Klischees: „Alpenrassismus„, zetert etwa die „Tageszeitung“, ohne den Begriff näher zu erläutern. Die direkte Demokratie in der Schweiz sieht sie „als Bühne des Rechtspopulismus„. Das „Handelsblatt“ warnt vor einem „kompletten Bruch mit der EU„. Und in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt Thomas Steinfeld, „dieser kleine Staat in der Mitte Europas“ verwandle sich in ein „gleichsam selbstständiges Wesen, das aus sich heraus eigene Notwendigkeiten und Forderungen gebiert“.

Als Schweizer bin ich daran gewöhnt, dass mein Heimatland, dieses kleine, empörend selbstständige Wesen südlich von Deutschland, mich oft nach meiner Meinung fragt. Im Schnitt drei- oder viermal pro Jahr, bei jeder Volksabstimmung. Obwohl ich oft in Thailand oder Istrien wohne, werde ich zum Beispiel gefragt, ob in der Stadt Basel ein neues Einkaufs- und Freizeitzentrum gebaut werden soll. Oder ob die Schweiz eine Einheitskrankenkasse einführen soll. Ich wurde auch gefragt, ob es verboten sein sollte, Minarette auf Moscheen zu bauen. Ich war gegen ein solches Verbot, weil ich es beschämend intolerant finde. Die Mehrheit der Stimmberechtigten sah das leider anders. Nun dürfen keine neuen Minarette gebaut werden. So sind die Regeln. Ich akzeptiere diese..

Wenn die Schweiz mir Abstimmungsunterlagen schickt, kann ich leider selten abstimmen. Ich lebe meistens fern meiner Heimat, aber ich bin jedes Mal ein bisschen gerührt, wenn ich dieses hochoffizielle Couvert (so nennt man einen Briefumschlag in der Schweiz) in meinem Briefkasten vorfinde. Ich empfinde es als Privileg und als Verantwortung, eine Stimme zu haben, mit der ich mehr tun kann als nur alle paar Jahre irgendwelche Parteien und Politiker zu wählen, die dann wieder ein paar Jahre mehr oder weniger ungestört vor sich hin politisieren.

Das letzte Wort hat in der Schweiz immer das Volk – In der Schweiz leben wir in einer direkten Demokratie. In der EU in einer demokratischen Diktatur

Ich mag unser politisches System, die direkte Demokratie, weil sie dafür sorgt, dass Politik – anders als in Deutschland – nicht zur Privatangelegenheit einer politischen Klasse werden kann. Schweizer Politiker müssen sich permanent dafür rechtfertigen, was sie tun, mehr noch: Sie müssen für ihre Pläne werben, die Bürger mit inhaltlichen Argumenten überzeugen, weil sie sonst nicht nur irgendwann abgewählt werden können, sondern schlicht nicht handlungsfähig sind.

Denn egal, ob es darum geht, eine Brücke über den Rhein zu bauen oder die Schweizer Verfassung neu zu schreiben: Das letzte Wort hat immer das Volk – ein Begriff übrigens, der in der Schweiz nicht annähernd so negativ klingt wie in Deutschland. Nun also Ecopop. Ich hätte Nein auf den Stimmzettel geschrieben. Ich kann gar nicht sagen, wie falsch ich diese Initiative finde und wie sehr ich hoffe, dass die Umfragen richtig liegen, die auf eine Ablehnung hindeuten – aktuell mit 56 Prozent Nein-Stimmen und 39 Prozent Ja-Stimmen. Meine Schweiz ist ein offenes, dynamisches, mutiges Land und keines, das sich zu seinem eigenen Schaden fremdenängstlich verbarrikadiert.

Es sind Volksinitiativen wie Ecopop, die es mir schwer machen, die Schweiz und ihr politisches System in Deutschland zu verteidigen. Die meisten Deutschen, mit denen ich darüber spreche, misstrauen der direkten Demokratie. Sie realisieren nicht, dass sie selber in ihrem Lande gar nichts zu sagen haben. Sie sind ihren Politikern ausgeliefert: Sei dies zum berühmten Berliner Flughafen oder zum Stuttgarter Bahnhof.

(Nach einer idee der  in Hamburg lebenden Schweizer SPIEGEL-Redakteurin Samiha Shafy)

Einige zusätzliche Gedanken nach erfolgter Abstimmung

In der europäischen Presse ist man überrascht, dass das Schweizer Volk gar nicht so „doof“ ist und viele Kommentatoren fragen sich, ob solche Ergebnisse in ihrem Lande auch möglich wären?

Ich glaube „Nein“. Im restlichen Europa ist man es gewohnt, alle paar Jahre Gesichter und oft unverständliche Schlagworte zu wählen. Zu Sachfragen hat das Volk keine Mitsprache, so werden diese auch in den Medien oft nur emotional diskutiert, um die Zeitungsauflage zu erhöhen. Die Hintergründe und Konsequenzen werden zu wenig hinterfragt. Wir nennen dies Biertisch-Diskussionen.

Unsere Demokratie mit direkten Volksentscheiden ist schon über 150 Jahre alt. Wir sind damit aufgewachsen und sind gewohnt, uns mit politischen Fragen und Entscheiden zu befassen. Aber auch die Politiker wissen um die Macht des Volkes und müssen ihre Anliegen in Presse, Fernsehen und Radio dem Volk verkaufen. So kann sich jeder interessierte Schweizer ein Bild machen und eine Meinung bilden. Selten gab es emotionale Fehlentscheide, meistens hat das Volk richtig entschieden, auch wenn es nicht immer meine Meinung unterstützte.

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1 Kommentar

    • Josef Koch auf 29. Dezember 2014 bei 13:27
    • Antworten

    Servus Max,
    mit Interesse verfolge ich deine lebhaften Berichte und Erlebnisse.
    Erfreulich schließe ich deshalb, dich bei bester Gesundheit und gutem Appetit.
    Gerne wäre ich mit Theo die geplante Biketrour nach Puket, habe mich dann aber mit Kolegen im April ca. 10Tage für Malorca entschieden.
    Der Winter ist nach ständigem Warmwetter endlich eingekehrt und komme nun endlich wieder auf Schitouren- Gebiete, auf die ich mich freue.

    Mein Sohn eröffnte mir heute den Wunsch auf Eigenständigkeit, in einer eigenen Wohnung. Die Tochter lebt in Zürich und studiert dort, kommt alle par Wochen nach Hause. Besucherplatz ist vorhanden.
    Solltest du einen Europa- Winteraufenthalt planen, dann bist du gerne eingeladen. Wir leben in einer Gegend, wo Leute Urlaub machen. Vorarlberg, Sommer und Winter, solltest mal hineinschauen, im Internet.

    Wie auch immer, Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr, rutsch gut hinein, bleib gesund und voller Tatendrang.
    Josef mit Janina

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