"200km Plus", so einfach hiess die Formel und das Ziel unserer Rad-Ausfahrt. Jeder von uns wollte diese Distanz von "200 km an einem Tag" knacken. Keiner hatte diese Distanz jemals gefahren. Von Hua-Hin über Dolphin Bay - Prachuapo Khiri Kan - nach Ban Krut war die Strecke, alles mehr oder weniger der Meeresküste entlang.
Für mich ein grosse Herausforderung und Challenge, wie es die Amerikaner so treffend formulieren. Wird mein Körper dies aushalten? Wie wird er auf diese Parforceleistung reagieren? Bei Gegenwind ab Mittag? Bei 35°C Hitze im Schatten? mit einem Helm, der nicht vor der Sonne, sondern vor einem etwaigen Sturz schützen soll?
Ich war dennoch zuversichtlich, denn ich erinnerte mich an die vor kurzem absolvierte 1'300km lange "Tour de Thailand" mit einer 140-km-Etappe, die mir keine Schwierigkeiten bereitete. Ich wusste: langsam die Strecke angehen, am Schluss kann man immer zulegen.
Bei einer 100km-Ausfahrt gibt es nicht viel vorzubereiten: 2 Bidon Flüssigkeit und ab geht es. Nun stand aber die doppelte Distanz auf dem Programm. Neuland, sagt man dem.
Bereits in die Vorbereitung versuchte ich all mein Wissen und die Vorschläge meines erfahrenen Freundes Renato Bevilacqua vom Radrennclub Basels (RRCB) einfliessen zu lassen: Mein Specialized-Rennrad habe ich vollständig entfettet und die Schaltung und Kette neu eingeölt. Bereits am Vortag trank ich viel Wasser, um mit 100%igem Wasserhaushalt zu starten, und am Vorabend gab es eine grosse Portion Spaghetti. Zur Fahrt rüstete ich meinen Camel-Bag (Rucksack) mit 1.5 Liter elektrolytischen Getränken. Am Morgen bei Tagwache, um 04:45 notabene, pflegte ich meinen Po vor Abfahrt mit Zinksalbe und meine Assos- Rennhose mit viel Baby-Puder. Eingewickelt und aufgeschnallt auf meinen Camel-Bag nahm ich Shorts, Slip, Shirt und Slipper für den Abend mit.
Wir waren zu viert: Donn Wadey ein Kanadischer Professor an der Universität in Cha-Am, Chris Byrd, ein Amerikaner und der Organisator der "Tour de Thailand" und John Graham, ebenfalls ein Kanadier und hauptberuflich Guide an der Tour d'Asia. Also 2 Profis, der Professor und meine Wenigkeit! Allesamt waren viel jünger als ich, zwischen 40-50 Jahre alt. Sie hätten meine Söhne sein können.
Auf 75 km begleitete uns Adrian Stella, der dann aber abdrehte und wieder zurück nach Hua-Hin fuhr. Für ihn war die hohe Temperatur Grund für seine Absage.
200km Plus: Mit dem Rad von Hua-Hin nach Ban Krut (Teil 1) (Klicke aufs Bild für Grossformat) | |
Während der ganzen Fahrt sprach ich meine aktuellen Live-Eindrücke auf mein kleines Diktiergerät:
"Es ist 04:45 Tagwache. Bin noch etwas wacklig auf den Beinen. Alles ist bereit, auch die kühlen Getränke und mein Fotoapparat samt Ersatz-Batterie."
"05:50 Uhr: Es ist draussen noch dunkel. Man sieht auf den Strassen und Wegen in Hua-Hin vorallem Hunde. Treffpunkt ist das Coffee77, wo einer nach dem anderen eintrudelt. Donn zeigt stolz sein neues Rennrad, das er gestern erstmals ausprobierte. Ob dies wohl gut gehen wird?"
"Exakt um 06:15 starteten wir in Richtung Süden. Es wird in wenigen Minuten Tag werden. Auffallend die orange-gekleideten Mönche auf den Strassen."
"Um 07:05 haben wir 10% der Gesamtstrecke bewältigt, ruft Donn von hinten. Die Sonne taucht am Horizont auf. Ein wunderbarer Anblick.Es ist noch kühl. Das Tempo ein guter 28er-Schnitt."
"Gegen 8 Uhr treffen wir in Dolphin Bay ein, wo wir gemütlich frühstücken. Es herrscht noch wunderbares angenehmes Klima. Ich fühle mich top-fit und könnte Bäume ausreissen. um 08:55 fahren wir weiter."
"Es ist 10 Uhr und haben 75 km erreicht. Noch kein Gegenwind, mitten in den Langusten-Farmen. Adrian biegt ab zurück nach Hua-Hin."
"Es ist 11:15 und wir haben den 100. km erreicht."
"13:00 Uhr: Wir befinden uns kurz nach dem Militär-Flugplatz von Prachuap Khiri Khan, der Provinz-Hauptstadt, 125km sind zurückgelegt. Wir machen Mittagshalt. Ich esse Pad Thai und trinke 2 grosse Orange Shakes. Um 14 Uhr fahren wir weiter"
Bei 150 km spreche ich in meine Diktiergerät: "Es ist 15 Uhr. Alles ist bestens. Der Wind ist nicht so schlimm, aber die Hitze macht einem zu schaffen. Chris hat den "Schysser", wir müssen ein wenig auf ihn aufpassen."
200km Plus: Mit dem Rad von Hua-Hin nach Ban Krut (2. Teil) (Klicke aufs Bild für Grossformat) | |
Nach 202 km langten wir um 17:30 Uhr im Seebad "Ban Krut" an. Wir erreichten dabei eine beachtliche Durchschnitts-Geschwindigkeit von 24 km/h. In Ban Krut übernachteten wir und fuhren am Tag darauf in einer abenteuerlichen Reise mit der thailändischen Eisenbahn in 3. Klasse zurück nach Hua-Hin.
Der Aufenthalt in "Ban Krut" war der Stimmung entsprechend grossartig. Ein neues Hotel "Baan-Good Beach Front" direkt am Meer war unsere Bleibe für eine Nacht. 800 Baht (=SFr. 24.--) kostete das wunderbare Doppel-Zimmer samt Frühstück. Nach dessen Bezug gings zum Italiener zu einer feinen Pizza und ein paar grossen Chang-Beers. Die Nacht war dann weniger wunderbar. Ich schlief schlecht, sehr schlecht und erwachte immer wieder. Mein Körper konnte sich nicht beruhigen und liess mich erst früh am morgen einschlafen.
Die Heimfahrt nach Hua-Hin war dann wiederum abenteuerlich. Wer noch nie in einer thailändischen Eisenbahn gefahren ist, kann dies fast nicht nachvollziehen. Ein Abenteuer mit Spassfaktor:
Es begann beim Lösen der Tickets. Der Ticketschalter öffnete erst 15 Minuten vor Abfahrt und dann wollten alle Fahrgäste bedient werden. Die 3-stündige Fahrt im "Bummler" zurück nach Hua-Hin kostete pro Person 31 Baht, das Rad im Gepäckwagen 90 Baht und dann gabs noch einen (Farang-)Zuschlag von 20 Baht für den Bahnhof-Vorstand, der auf keinem Ticket erschien. Insgesamt bezahlten wir je Person 141 Baht (=SFr. 5.20)
Auf diesem Zug gab es nur 3.-Klassewagen. In jedem Wagen mehrere Ventilatoren an der Decke. Die jugendlichen Reisenden sass draussen auf den Aussentreppen der Wageneingänge. Mut war angesagt!
Die Sitze, wenn mal man von dem schweisstreibenden Kunstoffbezug absieht, waren grosszügig bemessen und für kulinarische Köstlichkeiten war durch die in grosser Zahl der hin- und her-eilenden Verkäufer gesorgt. Man erhielt Früchte fein zubereitet, Getränke aller Art, Fertigmalzeiten, Hühnchen, Eier, Bambus-Reis und vieles mehr. Man musste also nicht an einer Station den Zug eilig verlassen und hektisch etwas einkaufen, sondern hatte grosse Auswahl an Speis und Trank auch im Zug. Während der Fahrt wurde jede Stunde mit einem nassen Besen-Strupper sogar der Boden gewischt , was sicher gut gemeint war, aber wenn man so alle drei bis vier Wagons mal den Lappen auswaschen würde, wäre der Säuberungseffekt sicher effektiver.
Im Zug wird alles transportiert, denn der Frachtwagen ist für Thais zu teuer, wie wir es mit unseren Rädern feststellen mussten. Zwischen unseren Sitzen stand z.B. ein grosser Sack mit Gemüsen. Andernorts sah ich weitere "herrenlose" Säcke. Ich nehme an, dass diese Säcke am Ankunftsort von Eingeweihten aus dem Zug geholt werden. So spart man sich die Zugs- und Frachtbeträge.
Der Zug fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 40-60 km/h, denn der Geleiseunterbau war sehr "holprig". Dann hielt er alle paar Kilometer an einem der vielen Bahnhöfe an. Ich habe es nicht gezählt, aber es müssen mindetens 30-40 Haltestellen auf den 150-180 km gewesen sein.
Zugsfahrt von Ban Krut nach Hua-Hin (Klicke aufs Bild für Grossformat) | |
Ich hatte während der ganzen Fern-Fahrt keine Probleme, wenn man von meinem Hintern absieht, der sich auf den letzten 50 km nicht mehr so wohl fühlte, denn die Rennhose war vom Schweiss total durchnässt. (Das nächste Mal müsste ich unterwegs die Rennhose wechseln können).
Die Beine, sprich Kraft, waren jederzeit optimal und hätten noch weiter gereicht. Das Hauptproblem waren der Seitenwind und oft auch Gegenwind vom Meer, sowie die ungeheure Hitze von gegen 35°C. Ich nahm deshalb mehrere Liter Flüssigkeit, auch elektrolytische Getränke, zu mir und kam nie in Gefahr von Dehydratation (Wassermangel im Körper). Ganz im Gegenteil von Chris Byrd, der zum Schluss fast nicht mehr fahren konnte und unseren Fahrschnitt massiv senkte. Er trank nur Wasser ohne Zusatzstoffe und war am Ziel stehend K.O.
Wir kamen überein, das nächste Jahr einen "250er Plus" anzugehen, aber in der kühleren Jahreszeit November/Dezember in Richtung Norden "Kanchanaburi" beim River Kwai, aber mit einem von einer Freundin gefahrenen Begleitfahrzeug, das unser Gepäck und Getränke transportiert.
Nachtrag vom 8. März 2012: In meiner zweitletzten Ausfahrt dieser Thailand-Saison fuhren wir zu dritt eine Strecke 150km, aber in voller Geschwindigkeit und erreichten dabei einen Durchschnitt von 28.5 km/h. Ich muss aber gestehen, dass ich anschliessend mehr kaputt war, als bei der 200km Fahrt, wo wir "nur" 24 km/h schnell waren.
Autobiografie von Max Lehmann Schafmattweg 13, CH-4102 Binningen |
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