30. Nov. 2013: Deutschlands Koalitionsvertrag aus Schweizer Sicht und in Schweizer Vergleich

Koalitionsverträge für Deutschland sind nichts besonderes. Jede Regierung, die keine absolute Mehrheit zusammenbringt, braucht einen solchen. Meines Wissens hat nur Konrad Adenauer einmal die absolute Mehrheit erreicht und konnte ohne Kompromisse nach seinem Gusto regieren.

Nach mehreren Wochen Arbeit ist nun auch der neue Koalitionsvertrag die CDU/CSU und die SPD unter Dach und Fach. Man kann es jedoch drehen und wenden wie man will, die Deutsche Bürokratie, der Populismus und die Schlagworte haben gesiegt, aber das Deutsche Volk hat verloren…..Es sei denn, die Kanzlerin Merkel hält sich an keine der gemachten Abmachungen!

[notice]Den nachstehenden Beitrag über den Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und der SPD habe ich der Online Ausgabe der Basler Zeitung vom 30.11.2013 entnommen, an gewissen Stellen angepasst und Teile weggelassen.. Markus Somm, der Chefredaktor beschreibt und formulierte seine Gedanken, die grösstenteils auch bei mir in den letzten paar Wochen aufkamen. Ich bin normnalerweise kein Fan des Historikers Markus Somm, denn er steht dem Gedankengut der populistischen SVP recht nahe.

Wir kennen in der Schweiz keine Koalitionsverträge. Bei uns formieren sich die Koalitionen je nach politischem Geschäft neu.[/notice]

Merkel oder die Welt als Wille und Wahn

(Von Markus Somm, BaZ. Aktualisiert am 30.11.2013)

Markus Sohm, Chefredaktor der BaZ

Markus Somm, Chefredaktor der BaZ

Wir Schweizer lieben die Deutschen, wenn es darum geht, uns über Bürokratie und deren sprachliche Verhee­rungen hinwegzutrösten. Denn sind unsere Gesetze schon unverständlich genug abgefasst, können wir immer davon ausgehen, dass sie in Deutschland mit seiner glänzenden Tradition preussischer Verwaltungsvirtuosen noch herrischer, „unverständlicher“ und undurchdringlicher formuliert sind. Es sind Texte, die einen Gott der Bürokratie blass erscheinen lassen.

Aus dem neuen Koalitionsvertrag der CDU/CSU und der SPD, wie er diese Woche in Berlin beschlossen worden ist, lesen wir zum Thema Mieten: «Damit Wohnraum insbesondere in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten bezahlbar bleibt, räumen wir den Ländern für die Dauer von fünf Jahren die Möglichkeit ein, in Gebieten mit nachgewiesenen angespannten Wohnungsmärkten bei Wiedervermietung von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken. Erstvermietungen in Neubauten sowie Anschlussvermietungen nach umfassenden Modernisierungen sind davon ausgeschlossen. Die mögliche Wiedervermietungsmiete muss mindestens der bisherigen Miethöhe entsprechen können.» Sind Sie noch wach oder haben Sie sich schon aus dem Fenster gestürzt?

Selbstmord der CDU/CSU

Läge es nur an der Sprache, wir könnten weiter- schlafen. Doch überfliege ich den Vertrag, wie er in allen wesentlichen Details in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» am Donnerstag zusammengefasst worden ist, ergreift mich die Depression. Ich übertreibe nicht: Auch nach einer Stunde eifrigen Forschens vermochte ich so gut wie kein einziges Ziel und keine Reform zu entdecken, die man als liberal oder konservativ hätte bezeichnen können. Waren irgendwann Wahlen?

Die Bürgerlichen, die CDU/CSU, die die Bundestagswahl mit einem Anteil von 41,5 Prozent triumphal für sich entschieden hatten: Sie haben mit dem Verlierer SPD keinen Koalitionsvertrag unterzeichnet, sondern sind der SPD beigetreten. Mit 25,7 Prozent hat die SPD, die älteste Partei Deutschlands, eines der schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte erreicht. Umso besser hat sie verhandelt – oder umso gedankenloser hat die CDU/CSU ihre Seele verkauft.

Es ist grotesk: Wenn in Deutschland fast eine Mehrheit der Wähler eine bürgerliche Politik wünscht – und danach eine sozialdemokratisch geprägte Regierung erhalten, dann kann man sich fragen, wozu überhaupt noch wählen? Der Kaiser hätte ein solches Regierungsprogramm seinerzeit rascher und kostengünstiger verabschiedet.

Was die Christsozialdemokraten unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel dem wichtigsten Land Europas in den kommenden vier Jahren zumuten, ist eine bemerkenswerte Mischung von Mutlosigkeit, Grössenwahn und Planwirtschaft. Es überwiegen kleinkarierte Interventionen, weltfremde Regulierungen, rauschhafte Jahrhundertprogramme, höhere Ausgaben – der Schuldenabbau findet im 22. Jahrhundert statt. Überall thront der Staat und verkündet seinen Anspruch, alles besser zu wissen als der einzelne Bürger und alles zurechtzurücken, was in der Welt aus den Fugen geraten ist. Der Allmächtige – er residiert in Berlin.

Welches Schweinderl hättens denn gern?

Der deutsche Staat will, dass bis im Jahr 2035 55 bis 60 Prozent des deutschen Stromverbrauchs ökologisch produziert werden, der deutsche Staat will die eigene IT-Industrie ausbauen und glaubt zu wissen, welche Technologien und welche Industriezweige Zukunft haben; er will Frauenquoten in Unternehmen erzwingen, weil er genau im Bild ist, warum Frauen in den Chefetagen untervertreten sind, und der deutsche Staat verfügt einen Mindestlohn für fast alle Branchen in allen Regionen – dass Ostdeutschland dann gar keine Arbeitsplätze mehr anbieten kann, weil die Löhne zu hoch liegen, davon will der deutsche Staat nichts vernommen haben. Stattdessen schreibt der deutsche Staat fest, dass jedermann binnen vier Wochen einen Termin beim Facharzt erhält, wenn er denn möchte. Überdies werden Therapien für Patienten mit Depressionen und Rückenleiden ausgeweitet. Das wird sie freuen.

Kinderkrippen, Elterngeld, mehr Wohngeld, höhere Renten für Mütter, die vor 1992 geboren haben, und im Übrigen soll (endlich!) die Qualität der Immobilienmakler verbessert werden, indem die Regierung dafür eigens einen «Sachkunde­nachweis» schafft. Gewiss handelt es sich bei der Tätigkeit des Maklers um einen besonders regulierungsbedürftigen Beruf. Es drohen tote Wohnungen.

185 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag. 185 Seiten Einsamkeit. 185 Seiten Schwermut. Wie kann sich Deutschland je von seinen Politikern erholen?

Nonstop Nirwana

Was in der Bundesrepublik längst fortgeschritten ist: eine Art Abflug der Politiker in die höheren Sphären der menschlichen Existenz, wo alles so eintrifft, wie man sich das wünscht, sofern ein Gesetz das regelt. Dieser besorgniserregende Realitätsverlust ist leider kein deutsches Phänomen, sondern auch in der Schweiz zu diagnostizieren.

Wenn ein paar linke Studenten glauben, sie seien imstande, mittels einer staatlichen Vorschrift das gesamte Lohngefüge der Schweiz, einer der modernsten und komplexesten Volkswirtschaften der Erde, neu im Verhältnis 1:12 zu ordnen, und die SP, eine Partei, die Wert darauf legt, im Bundesrat vertreten zu sein, das sogar gutheisst, dann sind das Symptome der gleichen Krankheit: Hybris und Wahn. Man stelle sich vor: Wer hätte kontrolliert, ob jede Metzgerei und jeder Konzern im Land dieses Gesetz auch befolgt? Unzählige Lohninspektoren hätte der Bund anstellen müssen, die Tag für Tag ins Land ausgeschwärmt wären, um Lohnausweise zu überprüfen.

Verlangen nach dem Nuggi (=Schnuller)

Woran liegt es, dass so viele Menschen in Ländern wie etwa Deutschland oder der Schweiz, die so gute Erfahrungen gemacht haben mit der Freiheit, diese nicht mehr schätzen? Warum verhalten wir uns wie Erwachsene, die sich mit 40 um den Eintritt in eine Kinderkrippe bemühen? Wozu wählen wir Politiker, die uns auf 185 Seiten das Paradies auf Erden versprechen, wovon wir nie etwas sehen, was wir ahnen – ausser den Rechnungen für die Ruinen der Luftschlösser, die sie hinterlassen?

Gewiss sind wir hier in der Schweiz etwas weniger davon betroffen, weil die direkte Demokratie unsere Politiker gelegentlich auf den Boden der Realität zurückholt. Ansätze zum Übermut sind in Bern ausreichend vorhanden. Nur das Schweizer Volk kann Nein sagen.

In Deutschland oder anderen westlichen Ländern dagegen hat sich eine politische Elite herausgebildet, die sich alles zutraut und die kaum mehr Rechenschaft abzulegen hat. Von einer Refeudalisierung könnte man sprechen: Es sind demokratische Barone, republikanische Fürsten, aufgeklärte Monarchen, die uns vorschreiben, wie wir zu leben und zu sterben haben.

Auf dem hohen Ross

Die meisten Angehörigen dieser neuen Aristokratie haben nie in ihrer Karriere ausserhalb der staatlich finanzierten Politik gearbeitet; die private Wirtschaft kennen sie bloss vom Hörensagen. Selbst wenn sie sich als bürgerlich betrachten, unterscheiden sie sich in dieser Hinsicht nicht von den schweizerischen Jungsozialisten, die uns mit 1:12 vor unserer Wirtschaft schützen wollten. Mit andern Worten: vor dem Staat, der sie bezahlt, sind sie alle gleich. Links und rechts sind in diesem Milieu deshalb tatsächlich keine relevanten Begriffe mehr, weil angeblich Bürgerliche (siehe CDU, siehe Frankreichs UMP, siehe auch Berlu­sconi) sich als die gleichen Interventionisten und Bevormunder entpuppen, wie die offen sich dazu bekennenden Linken.

Was ist zu tun? Solange die einzige Macht, die neben dem Staat über Geld verfügt, die private Wirtschaft, sich nicht wehrt, wird sich im Westen die Lage nicht mehr aufhellen. Unsere Demokratie ist im Begriff zu scheitern. Es ist dringend nötig, dass sich Unternehmer und Bürger mehr um die Politiker kümmern. Die Zeit der Eunuchen ist vorbei.

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