4. August 1964 - Tod meines Vaters - Ein Tag mit grossen persönlichen Konsequenzen
(Kapitel aus meiner Autobiografie "Ich habe gelebt !" Letzte Aenderung: Version: 1.0 vom 24. Juni 2015)


Mein Vater (1960)

Es war der 5. August 1964. Ich befand mich in der Offiziersschule in Dübendorf auf dem Schiessplatz, als mich unverhofft der Schul-Kommandant Oberst Bär in sein Büro befahl, wo er mir mitteilte, dass meine Eltern in England mit ihrem Auto verunfallt seien. Mein Vater sei gestorben, meine Mutter und Schwester verletzt im Spital. Er gab mir vom 5. - 18. August Urlaub mit der ausserordentlichen Zusatz-Bewilligung, die Landesgrenze überschreiten zu dürfen. Ich soll mich bei einem Herrn Dr. Andreas Saxer melden.

Tod meines Vaters am 4. August 1964

Meine beiden Eltern verbrachten ihre Ferien in England, wo sie meine Schwester Christina besuchten, die dort ihr Englisch-Jahr in einer Familie als "Au-Pair-Girl" absolvierte. Dabei kam es am 4. August 1964 zu dem folgenschweren Unfall. Mein Vater stiess im für ihn ungewohntem Linksverkehr beim Ueberholen eines anderen Autos in Poole bei Bournemouth mit einem stehenden Lastwagen der Royal Navy zusammen, der mit einen Helikopter beladen war. Der Aufprall meines Vaters auf das Lenkrad war derart heftig, dass er noch an der Unglücksstelle an inneren Verletzungen verstarb. Er trug wohl einen Sicherheitsgurt, aber hatte ihn nur lose angezogen, um beim Steuern und Schalten nicht eingeengt zu sein. Dies wäre bei den heutigen automatischen Sicherheitsgurten nicht mehr möglich, weil sie sich immer satt einrollen und den Körper bei einem Aufprall zurückhalten.

Meine Mutter und Schwester wurden dabei nur leicht verletzt. Meine Mutter hatte einen Rippenbruch und musste 1 Woche im Spital bleiben, während meine Schwester nach 2 Nächten austreten und bei mir im selben Haus ein "Bed and Breakfast" Zimmer beziehen konnte.

Mit Dr. Andreas Saxer nach England

Dr. Andreas Saxer war ein guter Bürofreund meines Vaters. Er machte sein Anwalts-Praktikum in der Vormundschaftsbehörde. Noch am selben Tag reiste ich von Dübendorf nach Basel, wo mich Dr. Andreas Saxer erwartete. Er hatte bereits Tickets für Zug und Flugzeug gebucht.

Mit dem Zug ging es von Basel nach Paris, dort stiegen wir ins Flugzeug nach London und von dort ging es weiter per Eisenbahn nach Bournemouth, wo er für mich als erstes ein Zimmer "Bed and Breakfast" buchte.

Glücklicherweise hatte ich einen gültigen Reisepass. Die Fahrt wurde für mich zu einer Weltreise. Sie wurde zu einer Lehrstunde für mein Leben, für mein Englisch, für meine Selbständigkeit. Den Kontakt zu den Behörden und und den notwendigen Firmen haben wir über die örtlichen Polizei hergestellt. Dann blieb ich alleine zurück und Dr. Saxer reiste zurück in die Schweiz. Die Polizei sollte mich betreuen, als "Mein Freund und Helfer". Es war einmalig, was ich nun erlebte.

Am frühen Morgen stand ein englischer Bobby mit seinem Polizeiauto vor dem "Bed and Breakfast-Haus" und brachte mich zum nächsten Termin. Es gab unheimlich viel zu erledigen. Als erstes besuchte ich im Spital meine Mutter und Christina. Christina konnte mich nach einer weiteren Nacht begleiten, was mir passte, denn ihr Englisch war besser als meines. Es musste viel organisiert werden. Der persönliche Polizist half mir und organisierte alles. Ohne dessen Hilfe wäre ich verloren gewesen

Zum Schluss fragte ich meinen Polizisten, was ich für diesen ungewöhnlichen Service zu bezahlen hätte? Er meinte "nichts". Ich könne aber etwas für den Unterstützungsverein armer Polizisten-Familien spenden, was ich auch tat .

Dieser Todesfall hat mich mehr beschäftigt, als ich je zugab. Ich verlor mein Vorbild und meinen Ansporn zu Höherem. Ich wollte doch besser und erfolgreicher sein als mein Vater! Ich konnte mich niemandem mehr beweisen und meine militärischen und beruflichen Erfolge zeigen. Ich hoffte doch, von meinem Vater bewundert zu werden. Nun hatte ich niemanden, der stolz auf mich sein konnte. Nur mich selber. Dieser Verlust sollte mich mein ganzes Leben begleiten.

Meine Mutter war noch aus alter Schule. Für sie war es selbstverständlich, dass der Mann erfolgreich ist. Richtig stolz war sie nie auf mich, wenigstens hat sie es nie gezeigt. Meine Mutter war aber dankbar, dass ich die Funktion als Oberhaupt der Familie übernommen habe. Ich erinnere mich noch gut, als sie mir etwas spezielles geben wollte: Zuerst eine tragbare Hermes-2000 Schreibmaschine, um die vielen Briefe zu schreiben, und dann etwas später meine erste grosse Metabo-Bohrmaschine, die mir jahrelang gute Dienste tat.

Zurück in Basel galt es nun vieles zu erledigen. Den Tod dem Zivilstandsamt anmelden, Trauerkarten drucken lassen und verschicken, die Beerdigung vorbereiten und durchführen, mit den Versicherungen verhandeln ... und die alles ohne Internet, ohne Computer nur mit einer alten Schreibmaschine und Tippex.

Nach nicht ganz 2 Wochen, am 18. August nahm ich wieder meine Ausbildung in der Offiziersschule auf, die ich im November 1964 als Leutnant der Flieger- und Flab-Truppen beendete.

Ausklang und Konsequenzen

Dieses Ereignis oder Erlebnis hat mich geprägt. Man muss wissen, ich war zu der Zeit immer noch fremdbestimmt. Ich hatte eben erst die Lehre als Laborant beendet. War behütet in einer Familie. Ich war eben daran, mich freizustrampeln. Einzig im Militär lernte ich langsam erwachsen zu werden. Nun musste ich auf einmal selbständig sein und auch ungewöhnliches durchziehen. Ich war erstmals im weiteren Ausland und reiste erstmals mit mir fremden ausländischen Verkehrmitteln. Ich musste mich englisch verständigen und realisierte, wie wichtig die englische Sprache ist. Ich lernte Briefe an Behörden zu schicken. Innert 10 Tagen wurde ich vom wohlbehüteten, unselbständigen Sohn zum Oberhaupt der Familie.

Einige Monate nach dem Tod meines Vaters mussten wir das Elternhaus am Klingelberg verlassen, weil meine Stief-Grossmutter sich durchsetzte, dass ihre leibliche Tochter Nina mit Familie einziehen konnte. Wir fanden in der Hebelstrasse im 4. Stock eine neues Heim.

Nina war auch meine Patin, aber durch diesen Rauswurf hat sich das Verhältnis massiv verschlechtert. Die Kontakte sind abgebrochen. Ich habe nicht einmal erfahren, wann sie gestorben ist.

Der Tod meines Vater war für mich anfänglich eine Katastrophe. Alle meine Bemühungen, besser zu sein und mich zu beweisen, schienen für die Katze, denn mein Vater konnte mich nicht mehr loben oder gar bewundern. Aber bald realisierte ich oder lernte ich, dass ich nun alles für mich machen müsse, auch wenn ich nie Komplimente hören würde. Und diese auch nie hörte. Zeit meines Lebens habe ich dies vermisst, denn auch meine Mutter konnte sich nie in diese Richtung äussern. Für sie war ich immer bis in ihr hohes Alter der "kleine Maxli mit dem schmutzigen Taschentuch!"

 

Autobiografie von Max Lehmann
Schafmattweg 13, CH-4102 Binningen
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