Tante Frieda Wetzlar Schneider
(Kapitel aus meiner Autobiografie "Ich habe gelebt !" - Letzte Aenderung: 18. Dez. 2015)

Hurra, die Tante Frieda kommt


Tante Frieda mit Götti "Schorsch" (1945)

Einmal im Jahr ging ein Schrei durch die Wohnung am Klingelberg, wenn unsere Tante Frieda sich mit einer Postkarte oder einem Brief bei uns anmeldete. Sie fragte nicht, ob sie vorbeikommen könnte. Sie meldete sich einfach an. Alljährlich fuhr sie einmal im Herbst nach Stresa, wo sie ein paar Wochen Ferien verbrachte. Stresa am westlichen Ufer des Lago Maggiore. Dort traf sie sich mit anderen "neureichen" Frauen aus Deutschland.

Die Tante Frieda kam aus Wetzlar, einer Kreisstadt in Mittelhessen zwischen Frankfurt und Köln. Sie war mit dem Georg Schneider alias "Götti Schorsch" verheiratet, einem Onkel und dem Götti meines Vaters. Sie hiess mit dem Mädchennamen "Kühling". Um die genauen Zusammenhänge zu erkennen, müsst ihr den Stammbaum anschauen. Götti Schorsch war wohlhabend. Er soll im Krieg den Nazis nahe gestanden sein, wie mir mein Vater unter der Hand verschwiegen zuraunte, und kam so zu Reichtum. Aber darüber sprach man nicht öffentlich. Nun verstehe ich auch, wie ich zu den vielen Nazi-Büchern wie "Mein Kampf" kam.

Tante Frieda war klein und mager, eine echte Deutsche. Sie war eine hochnäsige Frau. Sie trug immer graue Kleider mit weissen Halskrausen und einen Hut. Wir mochten sie nicht. Wir verstanden als Kinder ihr Wetzlar-Hochdeutsch nicht und sie konnte nicht begreifen, dass wir sie nicht verstanden, denn Deutschland stand für sie über allem. So kam auch der Begriff "Tante Frieda Wetzlar Schneider", in dem alle wichtigen Beziehungspunkte aufgelistet waren.

Wenn Tante Frieda ankam, dann wurde unser Wohnzimmer, das nur am Sonntag benutzt werden durfte, auf Vordermann gebracht. Und wir Kinder mussten die Sonntagskleider anziehen. Ich war in der Zeit zwischen 8 und 12 Jahre alt Wenn der Zug am Badischen Bahnhof ankam, dann fuhr mein Vater mit dem Tram dorthin und holte sie ab. Wir hatten damals noch kein Auto, was sie nie begreifen konnte.

Es gab aber einen Punkt, warum wir Tante Frieda akzeptierten und uns auch freuten, wenn sie kam. Sie brachte immer tolle Geschenke mit aus Deutschland. Wir liessen uns so kaufen, aber sie erreichte nie unser Herz. Wenn sie uns die Geschenke übergab, mussten wir in "Hab-Acht-Stellung" vor sie hinstehen. Ich erinnere mich noch gut, dass sie mir immer einen "Märklin Personen-Wagen der SBB" für meine Eisenbahn mitbrachte. In der Schweiz kostete der ein Vermögen. Wir konnten uns so etwas nicht leisten. Ich müsste dazu vom Götti das Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk zusammenlegen.

Sie hatte aber noch etwas anderes schlechtes an sich. Sie küsste uns zur Begrüssung. Dies grauste uns sehr und wir putzten unverzüglich unsere Backe oder den Mund ab, was ihr gar nicht gefiel. Wir wurden von unseren Eltern gerügt und mussten fortan warten mit dem Abwischen, bis die Tante Frieda aus dem Raum war oder wir uns davonschleichen konnten.

Mit Tante Frieda gab es immer Stress. Nicht nur bei uns Kindern, sondern auch bei unseren Eltern und Verwandten in Buggingen. Sie war dominant und beanspruchte im Hause des Alfred Meihofer in Buggingen einen festen Raum für sich. Sie benutzte ihn selten, aber er musste für sie reserviert bleiben. Irgendwann starb sie in Wetzlar und wurde in Buggingen beim Götti Schorsch begraben.

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Autobiografie von Max Lehmann
Schafmattweg 13, CH-4102 Binningen
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